Leipziger Volkszeitung, 18.09.2018
Malerisch, phantastisch, meditativ
„Waldmeister“ – ein Projekt von artentfaltung im Klinger Forum Leipzig
Von Ingrid Leps

Im Frühsommer kann man im Auwald auch Waldmeister mit seinen Blattquirlen und den kleinen weißen Trichterblüten finden. Das aromatische Kraut, das in der Bowle seinen großen Auftritt hat, lieh dem nunmehr dritten Ausstellungsprojekt der Künstlergruppe artentfaltung in der Leipziger Klinger Villa seinen Namen. Das passt, denn für das Vorhaben hat sich der Freundes- und Unterstützerkreis unter Regie von Christl Maria Göthner und Stephan König den Verein NuKLA ins Boot geholt, der für Natur und Kunst im Leipziger Auwald steht. Für ihr Unternehmen haben die Malerin und der Musiker vier Künstlerkollegen eingeladen, die wie sie selbst in ihrem Schaffen auf der einen oder anderen Ebene an Wäldern, Bäumen, Hölzern oder Pflanzen andocken.
Ulrike Gölner (60) findet Inspiration in dem, was ihr die Natur bietet, fächert den Stamm von Eschen, Eichen und Apfelbäumen zu Bögen und Pflanzen auf, die an die berühmten chinesischen Blumen erinnern. Die Frau, die bei Bremen zu Hause ist, spürt sensibel der Wuchsform nach und gewinnt dem Stamm Gebilde von frappierender Ästhetik ab. Sie spielt in sanften Schwüngen mit der Maserung, den Jahresringen oder lässt sich ganz auf den Kontrast zwischen polierter Oberfläche und spröden Werkzeugspuren ein. Nach eigenem Bekunden will die Bildhauerin an Verborgenes in uns selbst erinnern und stößt in Schichten vor, in denen das Sanfte, Fließende ihrer einprägsamen Formensprache seltsam vertraut scheint.
Mit eingängigem Personalstil fällt in der Auswahl auch die Leipzigerin Katrin Kunert (56) auf. In der leicht unterkühlten Nüchternheit ihrer Landschaften liegt viel Leere, viel kalkulierter Einfall von Licht und Schatten. In diesen Bildwelten ist dem ersten Blick nicht zu trauen. Das erzeugt enorme Spannung. Die fahle Farbigkeit, oft von Blaugrün, Ocker und Erdtönen getragen, scheint wie eine theatralische Kulisse hinter der Folie zwiespältigen Erinnerung.
Ganz durchflutet von Licht, das durch Blattkronen bricht, sind die Bilder von Barbara Burck (58). Die Leipzigerin findet einen poetischen Zugang zur Natur und bannt in atmosphärisch angelegten Wald- und Parksituationen das Flirren und Schweben im Spiel der Sonnenstrahlen, geht Stimmungen nach, die sich auch als Seelenlandschaften erweisen. Dabei setzt die Malerin, in den 80er Jahren Meisterschülerin von Bernhard Heisig, mit leichter Hand in expressivem Duktus auf frische Farben, bezieht in ihren Szenerien auch Figurengruppen ein, die den Betrachter ins lebendige Bildgefüge ziehen. Da gibt es durchaus Parallelen in den intensiven Landschaften Christl Maria Göthners (61), die ebenfalls als Meisterschülerin von Heisig prägende Impulse empfing. Ihre Bilder bannen den flüchtigen Eindruck einer Szenerie am Fluss, einer Brücke im Grünen, der Villa am Palmengarten.
Diese Impressionen eines Moments brennen sich auf die Netzhaut – in starken Farben, die das Bildgefüge zwischen Festigkeit und Transparenz verankern. In großformatigen Holzschnitten spürt Göthner zudem auf imposanter Fläche mit bis zu fünf Druckplatten der Umsetzung von Musik in Tanz in Bewegung nach. Michael Kunert (64) hingegen deckt in seinen Bildern Widersprüchliches auf. Im Bannkreis von Max Beckmann und der Neuen Sachlichkeit der 20er Jahre entwickelt er Bildfindungen, in denen sich sichtbare Realität mit surrealen Bildelementen verschränkt. Sein Garten ist eine zubetonierte Terrasse, auf der nur schwertgleiche Blätter und Skulptur als Versatzstücke eines Refugiums im Grünen geblieben sind. Sein Bad im Wald zeigt die azurblaue Verheißung eines Bassins, einmontiert in ein Umfeld, das sich auch durch diesen Eingriff nicht seines Mysteriums berauben lässt. Die wiederkehrende Metapher des Labyrinths untermauert bei Kunert eine Ausweglosigkeit, die dennoch Hoffnung lässt auf ein Entkommen.
Den unmittelbarsten Vorstoß zu Faszination unberührter Umwelt unternimmt Stephan König (55) mit seinem Video „Klangholz“. Der Pianist, Komponist und Dirigent, erweist sich auch als einfühlsamer Fotograf, der Staunen lehrt vor den Wundern der Natur. Er unterlegt seine berührenden Fotos, die aus jahrhundertealten Lorbeerwäldern auf Madeira, aus dem Leipziger Auwald und dem Botanischen Garten stammen, mit warmen, volltönenden Klängen von Zither, Flöte, Klavier, einer Türharfe, zu einem wohltuenden meditativen Bild- und Klangteppich.
Artentfaltung, 2004 von Göthner und König ins Leben gerufen, will Verbindungen zwischen verschiedenen Künsten schaffen, bildende, musikalische, multimediale und literarische Bereiche vernetzen. Konzerte, Ausstellungen, Gespräche, die an die Salonkultur des 19. Jahrhunderts anknüpfen, schlagen die Brücke zu Kunstliebhabern. Weit über ein Dutzend Veranstaltungen kamen seither zustande. In der Klinger Villa findet das Waldmeister-Projekt, das zwischen Vernissage und Finissage fünf öffentliche Begegnungen zu Umweltschutz und Musik einschließt, einen verlockend stilvollen Ort, an dem schon vor hundert Jahren Kunstfreunde zusammenkamen.
Waldmeister: bis 14. Oktober, geöffnet Freitag 14 bis 18 Uhr, Sonnabend und Sonntag 10 bis 18 Uhr; Klinger Forum Leipzig, Karl-Heine-Str. 2; www.artentfaltung.de